In den besonderen Wohnformen sieht der Alltag jetzt ganz anders aus, aber auch im BeWo sorgt die Pandemie für einigen Wirbel. Die bisher selbstverständlichen Events des BeWo-Alltags sind bis aus weiteres abgesagt oder auf Eis gelegt: Gruppenangebote, das monatliche BeWo-Treffen, Feste – und alle bangen um den längst organisierten Urlaub im September.
„Alle wollen, dass es vorbei ist“, bringt es Herr A. auf den Punkt. „Am besten wäre es, morgen aufzuwachen und alles ist wieder wie immer.“ Der langjährige BeWo-Klient ist wie viele andere von den Schließungen der Heilpädagogischen Zentren (HPZ) betroffen. Anstatt Vollzeit zu arbeiten, ist er auf einmal sehr viel mehr allein in seiner Wohnung als er es gewohnt ist.
So geht es auch Mechthild Keppler. Nicht nur die Arbeit fällt für sie derzeit flach, auch ihre beiden festen Termine bei der „Gemeinschaft ohne Grenzen“ (von allen, die sie kennen, liebevoll nur „GoG“ genannt), wo sie sich engagiert und zweimal die Woche tanzt, sind bis auf Weiteres gestrichen. „Tanzen kann ich jetzt höchstens noch in der Küche“, scherzt sie. Aber Mechthild Keppler weiß sich zu helfen: „Ein Puzzle mit 500 Teilen habe ich schon gemacht! Das hat mehrere Tage gedauert.“ Ihr Bruder und ihre Schwägerin hatten ihr das bunte Puzzle für Otto-Fans mit Ottifanten und Leuchtturm-Motiv zu Ostern geschenkt. Als Minidosis Fröhlichkeit und Urlaubsfeeling sozusagen.
Auch unter die Gärtnerinnen ist Mechthild Keppler nun gegangen, sie hat mit ihrer Alltagsbegleiterin Blumenerde besorgt und nun gedeiht auf ihrem Balkon eine kleine Tomatenpflanze und wird hoffentlich im Sommer die erste Ernte liefern.
Als nächstes ist nun ein ganzer Stapel mit Bildern und Rätseln dran, den die Gruppenleiter*innen vom HPZ „ihren“ Mitarbeiter*innen samt Oster- und Durchhaltegrüßen geschickt haben.
Die hat auch Herr A. bekommen. Aber am Tisch sitzen und rätseln oder malen ist nicht für jede*n was und auch nicht das gleiche, wie den Tag über körperlich zu arbeiten und sich im Gartenlandschaftsbau auszupowern. Das können auch die weiterhin stattfindenden BeWo-Termine mit den jeweiligen Alltagsbegleiter*innen nicht ausgleichen. Aber Hoffnung können sie geben, dass Corona vorbei gehen wird, genau so wie einen Raum für die Trauer und den Frust über die aktuelle Situation, Orientierung bieten zwischen den vielen Informationsfetzen und Ideen liefern, wie sich die Zeit positiv nutzen und gestalten lässt. Die Cafés sind geschlossen, aber wer sagt, dass man sich nicht einen Kaffee oder ein Eis holen und damit in die Sonne in den Park setzen kann, wenn einem Zuhause die Decke auf den Kopf fällt? Endlich ist Zeit für einen Frühjahrsputz oder den übervollen Kleiderschrank auszumisten. Und anstatt in der engen Wohnung wichtige Dinge zu besprechen, kann man das auch bei einem ausgedehnten Spaziergang durch Stadtwald, oder – park, oder noch besser: am Rhein oder Elfrather See entlang tun. Eine Dosis Entschleunigung und Seele baumeln lassen inklusive.
Während viele BeWo-Klient*innen in der Innenstadt wohnen und sich gerade mit Kindern buchstäblich eingesperrt fühlen, hat Fr.J. mehr Glück: Mit ihrem 6-jährigen Sohn und ihrem Partner wohnt sie am Stadtrand. Der Spielplatz vor der Tür ist zwar gesperrt, aber gleich dahinter beginnen Felder, Wiesen, Pferdekoppeln. Die Rettung für jedes Kind mit Bewegungsdrang! „Wir sind jetzt jeden Tag draußen unterwegs“, erzählt Fr.J. und auch, dass es sich dadurch eigentlich ganz gut aushalten lässt. Mal zu Fuß mit Spielzeug oder Ball, mal mit dem Roller, mal mit dem Rad. Fr.J. hat sich zum ersten Mal seit Jahren wieder Inliner gekauft.
Diesen Standort-Vorteil hat Ida van Kolls Familie nicht. Ihre beiden Töchter können nicht auf Feld und Wiesen spielen. „Unsere Alltagsbegleiter hatten anfangs Sorge, wir würden einen Lagerkoller kriegen“, erzählt sie am Telefon, denn sie wohnen mitten in der Innenstadt. Aber: „Den Mädels geht es super, die spielen auch in der Stadt und springen Gummitwist und fahren Roller. Wir gucken, dass wir zu Zeiten raus gehen, wo nicht so viel los ist.“
Auch sonst gibt es für die Kinder genug Beschäftigung: „Mit der Großen machen wir jeden Tag Hausaufgaben und wenn wir nicht draußen sind, basteln, spielen oder fernsehen wir in der Wohnung.“ Sie selbst hat auch zu tun: Da ein Umzug ansteht, muss ausgemistet werden, außerdem ist Ida van Koll zweimal in der Woche bei den „Krefelder Engeln“ ehrenamtlich beschäftigt. Die Organisation verteilt Essen und Kleidung an Bedürftige. „Normalerweise können sich die Leute bei uns auch hinsetzen und einen Kaffee trinken, das geht derzeit natürlich nicht mehr.“
Was ebenfalls nicht mehr geht, sind Besuche in Wohnheimen und besonderen Wohnformen. Für Mechthild Keppler und ihre Freundin, die in einem Wohnheim lebt, ist das ganz schön blöd: Einmal in der Woche geht Mechthild Keppler sonst dorthin. Jetzt hatte die Mutter der Freundin eine tolle Idee: Ins Wohnheim rein darf man zwar nicht mehr. Aber das Zimmer der Freundin liegt im Erdgeschoss. „Zwei Mal waren wir jetzt schon vor dem Fenster zu Besuch. Die Mitarbeiter machen das dann auf Kipp und wir haben gesungen und ihr etwas erzählen können.“ Außerdem haben die Freundinnen die Vorteile der Technik für sich entdeckt und bleiben zusätzlich über Videoanrufe in Kontakt. Auch da helfen die Mitarbeiter*innen der Wohneinrichtung. „Das klappt prima.“, erzählt Mechthild Keppler. „Ich rufe vorher dort an, damit meiner Freundin das Tablet in Stellung gebracht werden kann.“
Auch die besonderen Wohnformen des FFB sind von diesem Besuchsverbot betroffen. Das Risiko ist einfach zu groß, dass von außen das Virus eingeschleppt wird und sich dann unter den Mieter*innen ausbreitet. Und auch die Mieter*innen selbst können sich, wenn sie außerhalb des Hauses unterwegs sind, theoretisch infizieren und die Mitbewohner*innen dann gleich mit. Innerhalb der Wohnformen des Vereins gibt es verschiedene Ansätze damit umzugehen, angepasst an die Fähigkeiten der Mieter*innen. Während im „Viktorheim“ die Mieter*innen nun begleitet werden, wenn sie rausgehen um sie bei der Einhaltung der Hygienemaßnahmen zu unterstützen, verlassen die Mieter*innen des „Unser Haus“-Standorts an der Haydn-Straße ihr Zuhause auch alleine, aber nur noch mit Mund-Nasen-Schutz.
„Wenn die Leute wieder nach Hause kommen, begleiten wir sie im Interesse der Mitbewohner bei der Handreinigung“, erklärt Ines Franssen, die als Mitarbeiterin mit der Sonderfunktion „Assistentin des Bewohnerbeirats“ stellvertretend einen Einblick in den Alltag an der Haydnstraße gibt. „Es ist schwer umzusetzen, dass alle die ganze Zeit Zuhause bleiben. Die Leute vermissen es, draußen und unterwegs zu sein.“
Neben den Hygienemaßnahmen setzt man darauf, so viele Anreize wie möglich zu schaffen, sich nun noch lieber Zuhause aufzuhalten. Und dazu eignet sich vor allem das Glanzstück des „Unser Haus“-Standorts an der Haydnstraße, um das der Großteil der BeWo-Klient*innen und ihre Kinder die Mieter*innen nur glühend beneiden können:
der Garten!
Und auch am Standort Dahlienstraße geht es bunt weiter. Dank des Gärtner-, Bastel- und Maleinsatzes der Mieter*innen wird auch hier der Garten immer einladender!